Aufbau Ost – Abbruch West

Waltrop ist seit Jahren überschuldet und leistet trotzdem Millionenzahlungen für den Aufbau Ost. Während dort viele Städte inzwischen über ausgeglichene Haushalte und finanzielle Polster verfügen, verarmt mit dem Ruhrgebiet eine ganze Region. Hier reiht sich Schlagloch an Schlagloch während man im Osten über Flüsterasphalt rollt. Von gleichwertigen Lebensverhältnissen kann längst keine Rede mehr sein!

Foto (C): Bernd Schäfer

Marode Straßen, Sanierungsstau bei den Schulen und die öffentlichen Aufgaben auf ein Minimum zurückgefahren – als Bürgerin und Bürger dieser Stadt kennt man das, erlebt man die damit verbundenen Einschränkungen fast täglich. 

Seit den 1980er Jahren hat Waltrop Finanzprobleme. Einsetzend mit dem Niedergang der Kohle, der Schließung der Zeche Waltrop vor 40 Jahren, ließen sich die öffentlichen Ausgaben nicht im gleichen Maß reduzieren wie die Gewerbeeinnahmen wegbrachen, zumal die kommunalen Sozialleistungen infolge dessen stiegen. Die Konsequenz: zunehmende Verschuldung. 

Aktuell weißt die städtische Bilanz eine Unterdeckung von rund 30 Millionen auf und für die Liquidität benötigt Waltrop Kassenkredite, sogenannte Dispositionskredite, regelmäßig in der Höhe von über 100 Millionen, bei einem Haushaltsvolumen von lediglich rund 70 Millionen. Kassenkredite und langfristige Verbindlichkeiten summieren sich inzwischen so zu einem Schuldenberg von rund 150 Millionen.

Was man aber als Bürgerin und Bürger dieser Stadt wahrscheinlich nicht weiß: Gut jeder dritte Euro floss in den Fond Deutsche Einheit. Exakt 23.046.986,65 Euro hat Waltrop von 1991 bis einschließlich 2018 in den Solidarpakt für den Aufbau Ost eingezahlt. Rechnet man die Zinsen hinzu, so addieren sich die Aufwendungen auf über 49 Millionen Euro. 

„Der tatsächliche Aufwand lässt sich allerdings nur schwer ermitteln“, schränkt Stadtkämmerer Wolfgang Brautmeier ein, aus seinem Haus stammen die Berechnungen, da zur „Finanzierung Kassenkredite aufgenommen wurden, die starken – teilweise täglichen – Zinsschwankungen unterliegen.“ Aktuell ständen sogar Kredite zu Negativzinsen zur Verfügung, was den Haushalt etwas entlastet.

Die Gesamtsituation allerdings nicht, denn nach wie vor gilt was schon das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) im Rahmen eines interkommunalen Vergleichs 2014 feststellte: „Waltrop gehört zu den Städten des Kreises Recklinghausen, die sich schwierigen soziökonomischen und finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegenübersehen. Die Stadt ist seit dem Jahr 2011 überschuldet“.

Eine Folge des Strukturwandels und eine Situation, die man sich mit allen anderen Städten des Ruhrgebiets teilt: Die Stadt Essen greift zum Beispiel aktuell auf Kassenkredite in der Höhe von 2,2 Milliarden zurück, wo von rund ein Drittel durch Finanzhilfen für den Aufbau Ost verursacht sind. Dortmund, zweites Beispiel, hat in den letzten 27 Jahren 768 Millionen in den Solidaritätsfond einbezahlt. Ähnlich sieht es in allen anderen Kommunen des Ruhrgebiets aus.

Die Aufwendungen für die Kredite schlagen sich in den Hebesatzpunkten der Grundsteuer B nieder, also dem relevanten Faktor, der für die Bemessung der Steuern herangezogen wird. Je höher dieser ist, umso höher ist die Steuerschuld der Einzelnen, aber auch die für Gewerbe und Handel. Naheliegend, dass Unternehmen sich eher dort ansiedeln wo diese Sätze niedriger sind. Waltrop hat einen Satz von inzwischen 700 v. H. Zum Vergleich, der Bundesdurchschnitt pendelt sich bei 374 Prozent ein und der niedrigste Wert beträgt 45 Prozent.

Zusätzlich zu diesen Kosten haben die Städte und Kreise des Ruhrgebiets noch die sozialen Konsequenzen des Strukturwandels zu tragen, das heißt beispielsweise für den Kreis Recklinghausen eine SGB II-/SGB XII-Quote von 16,3 Prozent und Kinderarmut in der Größenordnung von 25,7 Prozent (Stand 2016).

Insgesamt eine Entwicklung die nicht nur dazu führt, dass die Gestaltungsspielräume der Kommunen sich minimieren sondern hierdurch wird eine Abwärtsspirale forciert die sich darüber ausdrückt, dass sich das gesamte Ruhrgebiet zu einer Armutsmetropole entwickelt. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine aktuelle Bertelsmann-Studie, denn gegen dem Trend in Deutschland sind in allen Großstädten des Ruhrgebiets die Quoten der Sozialhilfeempfänger*innen gestiegen.

Dagegen macht der Osten der Republik gute Fortschritte. Dresden beispielsweise hat einen ausgeglichenen Haushalt und in Brandenburg verfügen die Kommunen über ein Liquiditätspolster, das dem der Städte in Bayern und Baden-Württemberg entspricht, den Musterschülern der Republik also, und zwar mit 1.067 Euro an Bargeld und Einlagen je Einwohner*in, das zweithöchste bundesweit. Dagegen liegt der Durchschnitt in NRW lediglich bei 248 Euro. Nur die Städte im Saarland sind mit einem Durchschnitt von 124 Euro noch ärmer dran.

Gegen diese Entwicklung hat sich inzwischen ein Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ von 70 Kommunen mit mehr als neun Millionen Einwohner*innen konstituiert, das die Verhinderung neuer Schulden und die Tilgung der kommunalen Liquiditätskredite als solidarische Gemeinschaftsaufgabe sieht und die Wiederherstellung der vom Grundgesetz geforderten gleichwertigen Lebensverhältnisse fordert.

Denn unter diesen Bedingungen kann der Strukturwandel nicht gelingen, was wir brauchen sind grundlegende Reformen und einen Schlussstrich unter die Altschulden und keinen Solidaritätsfond wo die Mittel nach Himmelsrichtung verteilt werden und nicht nach Bedürftigkeit. Schließlich war es das Ruhrgebiet, das mit seiner Montanindustrie maßgeblich zum Wirtschaftswunder Deutschland beigetragen hat.

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